Das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern handelt ja davon, dass ein Herrscher umgeben ist von Speichelleckern, Dummschwätzern und Arschkriechern, die ihrem Gebieter schmeichelnde Beschreibungen seiner Garderobe mit auf den Weg geben, bis ein kleiner Junge ruft: „Der ist ja nackt.“ So ungefähr.
Das Märchen von Julian Draxler geht so, dass einer mit 21 Jahren 45 Millionen Euro wert sein soll und Vereine in ganz Europa auch bereit sind, diese irrsinnige Summe zu bezahlen. Fehlt nur noch der kleine Junge, der ruft: „Hallo?!“
Die Verfasser der Lobeshymnen über die märchenhaften Qualitäten des Julian Draxler können sich gewiss selbst nicht an ein Spiel in den letzten zwei Jahren erinnern, in denen Draxler wenigstens unter Beweis stellen konnte, mal ein halbwegs passabler Bundesligaspieler zu werden. Der künstlich geschaffene Hype um den Jungprofi Julian Draxler ist ein Indiz mehr für die herrschende Irrationalität im Profifußball, in dem Leistung auf dem Platz nicht mehr zwingend über die Bedeutung und meinetwegen auch den „Marktwert“ eines Spielers entscheidet. Viel wichtiger scheint eine Art Aura von kommenden Großtaten zu sein. Auf die warten Fans und Verantwortliche bei Julian Draxler seit geraumer Zeit geduldig aber vergeblich.
Die diversen Verletzungen, mit denen sich der junge Kerl in seiner kurzen Karriere herumplagte, sind dem Mythos dabei nicht im Wege. Vielmehr wunderbar geeignet, Skeptikern, die ein Auge auf die überschaubaren Spieldaten des Stürmers werfen (vier Tore in zwei Jahren), unter Verweis auf die vielen Auszeiten ruhig zu stellen.
Dass Draxler ausgerechnet in diesen vollkommen verlorenen letzten zwei Jahren „nebenbei“ Weltmeister in Brasilien werden konnte, unterstreicht allerdings das märchenhafte Moment in einer Karriere, von der man den Verdacht nicht los wird, dass sie schon beendet ist, bevor sie überhaupt begonnen hat.